Chirurgische Eingriffe an der Schulter oft überflüssig

Schmerzt es in der Schulter, landen viele Patienten früher oder später auf dem OP-Tisch. Allerdings verbessert die Schulter-OP die Situation in den meisten Fällen kaum oder überhaupt nicht. Manchmal tritt sogar eine Verschlimmerung ein.

Wie eine vom Fachmagazin „The Lancet“ veröffentliche Studie ergab, bieten viele chirurgische Eingriffe keinen klinisch relevanten Vorteil gegenüber einer Behandlung mit Schmerzmitteln und Physiotherapien.

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Engpasssyndrom als Hauptursache für Schulterschmerzen

Oftmals ist ein sogenanntes Engpasssyndrom, auch als Impingement-Syndrom bezeichnet, die Ursache für Schulterschmerzen. Mehr als zehn Prozent der Bevölkerung leiden unter dieser Erkrankung.

Häufig sind Sportler betroffen, die mit ihren Armen Überkopfbewegungen ausführen, beispielsweise Schwimmer, Hand- und Volleyballer, Speerwerfer und Bodybilder.

Oftmals findet sich dieses Syndrom aber auch bei Menschen, deren berufliche Tätigkeit häufig mit Überkopfbewegungen verbunden ist, zum Beispiel bei Malern oder Flugzeugmechanikern.

Die Beschwerden resultieren daraus, dass zu wenig Platz zwischen dem Oberarmkopf und der Schulter ist. Die dazwischen liegenden Sehnen werden ein- oder abgeklemmt und beginnen bei bestimmten Bewegungen zu schmerzen, etwa beim Anheben des Arms über Schulterhöhe, bei Drehbewegungen oder beim auf der Seite Liegen.

Im Verlauf des Impingement-Syndroms kann die Beweglichkeit des Schultergelenks dauerhaft abnehmen. Die Folge ist eine sekundäre Schultersteife. Zur Linderung der Schmerzen führen Ärzte bisweilen eine Schulterblatt-Erweiterung (Dekompression) durch.

Dabei wird Knochenmaterial und Gewebe abgetragen, um mehr Platz zu schaffen und den Druck von den Sehnen zu nehmen. In der obengenannten Studie ergaben sich jedoch Hinweise darauf, dass auf viele dieser Eingriffe wahrscheinlich verzichtet werden kann.

Worum ging es in der Studie?

Um den Behandlungserfolg der Schulter-Erweiterung zu untersuchen, teilten David Beard und sein Team von der University of Oxford circa 300 Probanden in drei Gruppen ein.

Jeweils rund 100 Testpersonen unterzogen sich entweder der Operation oder einer Arthroskopie ohne Abtragung von Knochengewebe, ohne zu wissen, ob sie wirklich oder nur zum Schein operiert wurden. Weitere 100 Patienten dienten lediglich als zusätzliche Kontrollgruppe.

Direkt zu Beginn, nach sechs Monaten und nach einem Jahr überprüften die Forscher anhand standardisierter Fragebögen das Ausmaß der Schmerzen und bei welchen Bewegungen Beschwerden auftraten. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass es keinen messbaren Unterschied zwischen den beiden Operationsgruppen gab.

Die Verbesserungen waren nur unbedeutend größer als bei den unbehandelten Personen, bei denen die Schmerzen dank spontaner Heileffekte ebenfalls leicht zurückgingen.

Aufgrund dieser Ergebnisse kamen die Forscher zu der Schlussfolgerung, dass chirurgische Eingriffe keine klinisch bedeutenden Vorteile gegenüber einem Behandlungsverzicht bieten und die Schulterblatt-Erweiterung nicht besser als eine Placebo-OP ist.

David Beard betont, dass Mediziner deshalb künftig eher auf Schmerzmittel und Physiotherapie setzen sollten, als auf Schulteroperationen.

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Studie weist Schwachstellen auf

Nach Ansicht von Felix Zeifang, Chirurg an der Universität Heidelberg, handelt es sich bei der Untersuchung um eine „sehr gut aufgezogene Studie“.

Er vertritt die Meinung, dass Schulterblatt-Operationen trotz bereits vorliegender Studien immer noch zu häufig durchgeführt werden, obwohl konservative Behandlungsmethoden wie Physiotherapie bei mindestens zwei Drittel der Patienten helfen würden.

Ein chirurgischer Eingriff stünde demnach erst zur Diskussion, wenn die konventionelle Therapie über Monate keinen ausreichenden Erfolg brächte.

Im Gegensatz zu Zeifang, der Operationen bei bestimmten Patienten auch künftig in Erwägung ziehen würde, hält der Sportorthopäde Andreas B. Imhoff, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie an der TU München, diese nur noch für angezeigt, wenn beispielsweise Verkalkungen zu Knochenveränderungen geführt haben.

Praxis im Operationssaal

An seiner Klinik werden, anders als bei vielen niedergelassenen Kollegen, fast keine Schulterblatt-Erweiterungen mehr durchgeführt. Stefan Sauerland vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sieht den Grund für die zu häufigen Operationen im deutschen Gesundheitssystem.

Dieses verführe Ärzte dazu, vorhandene OP-Kapazitäten, ihren OP-Katalog oder ihr eigenes Konto zu füllen. Auf Grundlage ähnlicher Ergebnisse strichen die gesetzlichen Krankenkassen vor circa zwei Jahren bereits die Arthroskopie bei Kniegelenkarthrose aus ihren Leistungskatalogen.

Dies wäre jetzt auch für Schulteroperationen zu diskutieren. Außerdem müsste den Patienten vermittelt werden, dass mehr Medizin nicht in jedem Fall bessere, sondern häufig sogar schlechtere Medizin ist.

Warum wird so viel operiert?

Wie der Vorsitzende des Arbeitskreises Medizinischer Ethikkommissionen, Joerg Hasford, anmerkt, wäre die Studie hierzulande kaum durchzuführen gewesen. Dies begründet er damit, dass bei einem Drittel der Probanden Scheineingriffe unter Vollnarkose durchgeführt wurden, die ihnen letztendlich keinen direkten Vorteil gebracht haben.

Auch wenn die Patienten über diese Möglichkeit aufgeklärt waren, ist davon auszugehen, dass die Ethikkommissionen in Deutschland einem solchen Verfahren nicht zugestimmt hätten. Hierzulande seinen die Standards, nicht zuletzt wegen der unzulässigen Massenversuche in der Zeit des Nationalsozialismus, strenger als in Großbritannien oder den USA.

Ein zusätzlicher Schwachpunkt der Studie liegt darin, dass die Studienärzte zum Teil nur eine geringe Anzahl von Patienten operiert haben, was der Vergleichbarkeit abträglich sein könnte.

Deutsche Fachgesellschaften und Berufsverbände kritisieren außerdem, dass die Untersuchung auch Probanden einschließe, deren Schmerzen nicht von einem mechanischen Engpasssyndrom herrührten.

Wie Ralf Müller-Rath, Vorsitzender des Berufsverbandes für Arthroskopie, betont, hätten diese Fälle von der Studie ausgeschlossen werden müssen, um zu eine verlässliche Aussage treffen zu können.

Letztendlich sind noch weitere Untersuchungen erforderlich, um zu einem unanfechtbaren Ergebnis zu kommen, das auch Ärzte überzeugt, die bislang vorrangig auf die Schulter-OP setzen.

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